Ehekrise
"Paare flüchten in die Gleichgültigkeit"
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Laut Paartherapeuten Jürgen Kühn hilft eine
Eheberatung bei Paaren, die sich trennen
wollen
Die Scheidungsfreudigkeit in Deutschland ist zwar gesunken. Dennoch
haben sich 2006 noch immer rund 191.000 Ehepaare scheiden lassen. Im
stern.de-Interview verrät Paartherapeut Jürgen Kühn, weshalb
sich Paare auseinanderleben - und wie man auch gemeinsam das Glück
bewahren kann.
Herr Kühn, ist es um die Ehe wieder besser bestellt in Deutschland?
Das glaube ich nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass Paare in
schlechten wirtschaftlichen Zeiten einfach nur weniger
scheidungsfreudig sind. Materielle Gründe spielen bei dieser
Entscheidung inzwischen eine ebenso große Rolle wie die
Liebesbeziehung. Die Eheprobleme sind nicht weniger geworden.
Macht es einen Unterschied, ob Paare verheiratet sind oder nicht?
Bei verheirateten Paaren ist die Verzweiflung oft noch größer, weil
es eben nicht nur um die Liebesbeziehung, sondern auch um viele
andere Fragen wie Kinder, Haus und Geld geht. Das macht die
Beziehungsarbeit nicht gerade leichter. Gerade Paare, die lange
verheiratet sind, müssen oft überhaupt erst einmal wieder gemeinsame
innere Ziele definieren, die sie im Laufe ihres gemeinsamen Lebens
aus den Augen verloren haben.
Sollten Paare also lieber nicht heiraten?
Nein, das will ich damit nicht sagen. Es heisst nicht im Umkehrschluss,
dass es unverheiratete Paare leichter haben und glücklicher sind. Sie
sind sich vielleicht mehr ihrer Liebesbeziehung als Kern ihres
Zusammenlebens bewusst. Aber sie trennen sich auch unkomplizierter. Das
geht in der Regel bedeutend schneller als bei verheirateten Paaren. Das
Durchhaltevermögen ist grundsätzlich nicht so groß wie bei Ehepartnern.
Warum leben sich so viele Ehepaare auseinander?
Viele gehen ihren Problemen aus dem Weg und arrangieren sich lieber mit
ihrer Situation, auch wenn sie vollkommen unzufrieden sind. Sie suchen
nicht nach den Ursachen, sondern flüchten sich in Gleichgültigkeit oder
gehen zu ihrem Partner auf Distanz. Oder sie streiten sich häufiger, was
für sie der einzige Weg bedeutet, sich wieder Luft zu machen. Das wird
übrigens gesellschaftlich immer noch stillschweigend anerkannt, dass
Ehepaare sich streiten, lieblos miteinander umgehen oder nebeneinander
herleben. Eine Scheidung ist immer noch der größere Makel. Es gibt
Menschen, denen ihr Ruf mehr Wert zu sein scheint, als ihr Eheglück.
Wie entstehen die Probleme?
Es beginnt mit kleinen Missverständnissen oder Verletzungen, die im
Alltag passieren. Die stauen sich über die Jahre auf, wenn sie nie
aufgearbeitet werden. Ständige Streitereien oder Gefühllosigkeit können
dazu führen, dass sich Paare gar nichts mehr zu sagen haben oder einer
von beiden fremdgeht. Spätestens dann kommt ein Partner zu der Meinung,
dass er mit dem anderen nicht mehr unter einem Dach leben kann. Diese
Paare haben es aber einfach nur versäumt, rechtzeitig und vernünftig
miteinander zu reden.
Der Experte
Jürgen Kühn, 43, ist Paartherapeut aus Karlsruhe
und laut eigenen Angaben glücklich verheiratet.
Scheidungen gehen also oft gar keine tiefgehenden Probleme voraus?
Die Frage ist, wie Ehepartner darauf kommen, dass sie sich nicht mehr
verstehen, Und die Hauptursache ist in den allermeisten Fällen fehlende
Kommunikation. Fast alle Paare, die zu mir in die Beratung kommen,
sprechen nicht richtig miteinander über ihre Bedürfnisse und Gefühle.
Wer seine Ehe pflegen will, dem rate ich dazu, sich jeden Tag über dass,
was ihn bewegt, mit seinem Partner auszutauschen.
Was halten Sie von einer Ehe auf Zeit?
Gar nichts, denn dadurch könnte die Tiefe einer Beziehung verloren
gehen. Liebe ist ein Wert, den es hochzuhalten gilt. Wenn die durch
Verträge oder durch Zeiträume reglementiert wird, geht der
eigentlich tiefere Sinn der Eheschließung verloren.
Was
könnte denn getan werden, um schlimme Ehekrisen zu vermeiden?
Es wäre sinnvoll, für trennungswillige Paare eine Eheberatung
einzuführen. Denn es ist oft so, dass sich durch eine Beratung oder
auch durch eine Paartherapie viele Eheprobleme lösen lassen. Sollte
die Ehe nicht mehr zu retten sein, so kann durch eine Beratung auch
die Trennung begleitet werden. Leider sind die Ehen, die im
„Rosenkrieg“ enden, eher die Regel als die Ausnahme. Auch da gibt es
noch viel zu tun.
Interview: Inga Niermann